Kommentar: LIDL vs Handwerk
Anlässlich der gerade aufkeimenden Diskussion um die aktuelle Werbeoffensive des Discounters LIDL (Fleischvideo bei YouTube), muss die Guerilla hier auch mal klar Stellung beziehen, sachlich argumentieren und aufklären. Ich möchte hier nicht auf Themen wie Frische oder Tierhaltung oder sonstige Moral und Werte eingehen (hierzu empfehle ich Slowfood.de) – mit geht es nur um Qualität.
Vorweg: Es ist nicht sonderlich nett von LIDL das feine Handwerk der Lebensmittelproduktion in seiner Werbung direkt anzugreifen und all den Metzgereien, Bäckereien und Winzern die Daseinsberechtigung abzusprechen. In den Spots wird definiert, was man beim Discounter unter Qualität versteht. Knusprige Brotkrusten, klare Weine und zartes Fleisch. Ach, wenn es doch so trivial wäre und Lidl jedem seine Qualitätsstandards aufdrücken könnte. Die Macher dieser Werbekampagne machen es sich hier einfacher als es tatsächlich ist. Aber auch die Kritiker treffen oft nicht ganz des Pudels Kern.
Was ist Qualität
Hier liegt der Hund (oder der Pudel) begraben. Es ist nicht einfach den Begriff Qualität und damit auch all die Aussagen in dieser Werbung zu definieren. Qualität kann man nicht messen oder konkret fassen und eben darum auch nicht miteinander vergleichen. Es beschreibt eher ein subjektives Empfinden gegenüber den Eigenschaften eines Objekts. Bezogen auf Lebensmittel kann man diese Empfindungen wieder in drei Strömungen einteilen.
- Qualität beschreibt die direkten Eigenschaften eines Produkts. Für einen Wein wäre das seine chemische Zusammensetzung, die sich im Geschmack manifestiert. Von verschiedenen Menschen wird dieser unterschiedlich gut empfunden.
- Qualität umschreibt die Eigenschaften des Produkts, wobei Merkmale des Herstellungsprozesses miteinbezogen werden. Für Fleisch z.B. die Tierhaltung, Futter usw.
- Qualität muss einem Kosten-Nutzen-Faktor genügen. Dem Kunden zum besten Preis ein Produkt liefern, was seinem Anspruch gerecht wird und auch jederzeit wieder erfüllt.
Gerade der letzte Punkt ist wohl die Art von Qualität, in der LIDL seinen großen Moment hat. Massentaugliche, gute Ware zu einem kleinen Preis anbieten, das ist es was die Discounter tun. In der Werbung weismachen will LIDL uns aber, dass es auch beim eher allgemein gültigen Qualitätsbegriff vorne mitspielen kann. Manchmal hört es sich in LIDLs Ausführungen sogar so an, als würden nur sie ganz genau wissen was Qualität ist, nur der dumme Kunde weiß es nicht und darum erzählen wir euch das jetzt mal – allgemein gültig für jeden Geschmack da draußen, total einfach und alles gibt es bei LIDL.
Qualität vs Individualität
LIDL will uns also alle über einen Kamm scheren. Doch Qualität definiert sich über individuelle Geschmäcker und nicht über einen Einheitsgeschmack. Klar trifft der Geschmack (und auch der Preis) vieler Discounterprodukte den Nerv der Kunden und bietet ihnen die Qualität die diese Menschen befriedigt und glücklich macht. Doch gilt das nicht für alle und LIDL hat keine Rechtfertigung den Begriff Qualität für sich alleine zu buchen und dem feinen Handwerk eben diese abzusprechen. Sprechen wir allen Parteien mal die Worthülse Qualität zu, eines kann uns der Discounter nicht bieten: Individualität!
Das Handwerk ist kreativ, anpassungsfähig und eben individuell in der Gestaltung seiner Produkte. Denken wir an unseren Fleischwursttest – in jeder Metzgerei in Karlsruhe kann man eine meist hervorragende Fleischwurst kaufen und sie schmeckt überall individuell gut. Wein muss nicht nur klar sein und nach Früchten duften. Wer erfreut sich nicht mal an einem wilden, unfiltrierten, dreckigen Winzerrotwein. Wie langweilig wäre unser kulinarisches Leben wohl, wenn wir jeden Tag nur das LIDL Standardsortiment zu futtern hätten?
Und deshalb vergesst es Qualität an irgendetwas anderem außer eurem eigenen Geschmack festmachen zu wollen und lasst euch weder von LIDL noch vom Handwerk einreden, sie hätten Qualität gepachtet. Wenn ihr zu LIDL tendiert ist das okay, ansonsten rate ich euch: Genießt die Individualität des Geschmacks den euch das Handwerk bieten kann. Denn wenn irgendwann der Preis/Nutzen über die Individualität siegt, wird unser tägliches Brot sehr, sehr langweilig werden.
Volle Zustimmung! Wenn ich schon die Rouladen beim Lidl sehe… drei Stück, zusammen gerade mal ein Pfund – und zusammengerollt, damit man das Fleisch auch ja nicht genau sieht. Und dann kostet das Pfund sechs Euro! Schon an der Fleischtheke bei Globus bekomme ich deutlich bessere Rouladen – gutes Fleisch in Stücken um die 300 Gramm und ohne Sehnen und Löcher. Und: zu einem Kilopreis von neun Euro! Da wäre ich doch bescheuert, wenn ich beim Lidl kaufte?!